BÄUME
Winter 2019
Über der Baumgrenze
Hubert Matt
Für Werner Hofmeister
Wo die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen, ja wo sie gar nicht mehr da sind. Wo maximal Latschen sich dem Unebenen beugen und dem Wind. Wo die Waldgrenze, sprich die Versammlung von Bäumen schon längst hinter uns liegt. Wo nur noch Wolken Schatten spenden können oder große Steine. Wo bauen hier Vögel ihre Nester, wo sammeln Frierende das Holz für das Feuer? Wo Bäume nur noch Erinnerungen sind, ihre Form als Bild erscheint, besetzt und gebaut aus anderen Bildern, anderen Zeichen. Wo Blätter und Laub sich bildet aus dem Gestammel von Signaturen. Wohingegen der Fels oder das Eis den Gräsern und kleinem Gestrüpp noch etwas Platz lässt.
Dort gibt es kein Verstecken mehr. Kein Verkriechen – außer in Erdlöchern oder Felsnischen.
Da wird die Luft auch langsam dünner. Der Atem verlangsamt sich. Dagegen nimmt die Aussicht zu, der Überblick. Vielleicht auch die Konzentration.
Wo war nochmals der letzte Baum, sehe ich ihn noch? Da vorne, da steht einer, ehern, eisern, holzlos, dem Wind trotzend. Als hätte er sich davongeschlichen, als hätte er die Blätter abgeschüttelt und anderes Beiwerk seinem Geäst zutragen lassen.
Hofmeisters Bäume sind was sie ihrem Namen nach sind, ihrer Form wegen. Ihr Material, Stahl bestätigt ihren Status nicht. Ihr Laubwerk sind Symbole, Zeichen. Ihr Laubwerk wird nicht abgeworfen, ihr Stamm vermodert nicht. Das Laubwerk der Bäume Ihre Form ist symmetrisch – konstruiert, nicht gewachsen -, ihr Volumen nur über zwei Achsen angedeutet, es gibt nur die Schnitte durch die Volumen. Die Bäume sind gleichsam eingefroren, sie wachsen nicht mehr, sie verenden aber auch nicht. Sie gleichen den Monstranzen im Werk von Hofmeister. Damit ist eine Verbindung der Rahmung des Heiligen (einer jedweden Kultur) in ihrer Form zu den Bäumen hergestellt. Die Symbole – von Alltagszeichen bis zu mythischen oder religiösen Zeichen – sind gehäuft. Sie kommen ins Vielfache. Sie reihen sich auf, bilden eine Form – eine Baumkrone eben. Diese Vervielfachung der Zeichen ist das, was Sprache erst ermöglicht, ebenso ihre Reihung. Die Krone ist aber keine lineare Reihung, es ist eine in der Fläche. Die Wiederholung von Zeichen, ihre Reihung vollziehen wir für gewöhnlich mit unterschiedlichen Zeichen. Wir reihen im Alltag nicht viele A’s hintereinander: AAAA oder L’s: LLLL oder Striche. Wir würden ALL etwa schreiben und damit einen „Sinn“ produzieren, nicht AALLLALLAA. Die Häufungen in der Fläche und nicht auf einer Linie sind ein Gestus nicht der Schrift, sondern des Bildes und des Ornaments. Häufung, Wiederholung, Kombinatorik (unterschiedlicher Zeichen), das sind die Gesten Hofmeisters, allerdings ohne einen Sinn oder eine Botschaft zu produzieren und ohne die Linearität der Schrift zu unterstützen. Vielmehr gehen die Schriftzeichen oder schriftähnlichen Zeichen (Was Piktogramme sind) zurück ins Bild, in die Fläche. Zwei Flächen im Winkel von 90° angeordnet, erzeugen einen Raum, ein Volumen, der sich in der frontalen Sicht zur Fläche auflöst. Es ist also ein Spiel inszeniert zwischen Fläche und Volumen, zwischen Häufung von Zeichen und deren Auflösung, zwischen Anordnung und Unordnung. Wenn wir ein Wort sehr oft hintereinander aussprechen, beginnt es seinen Sinn zu verlieren. Dieses Spiel eröffnet das Spiel der Zeichen, mithin auch jenes von Fläche und Raum.
Über der Baumgrenze wird somit zu einem Raum der Auflösung und zugleich der Einlösung von Bild-Zeichen. Der Sinn der Zeichen, der Sprache, ist nicht ihre Sinnproduktion, ihr Sinn ist das Spiel mit der Welt, das Spiel der Welt. Jenseits der Aussagegrenze (Baumgrenze), siedelt sich die Kunst an, taucht auf aus dem Nebel und manifestiert sich in Andeutungen von Formen unterhalb der Grenze. Die Photosynthese – welche das Laub realer Bäume vollzieht – wird als Prozess zur Erzeugung von energiereichen Biomolekülen aus energieärmeren Stoffen mithilfe von Lichtenergie beschrieben. Was Blätter können, kann auch Kunst: Energetische Verschiebung, jenseits des Waldes, sprich der Alltagssprache (Auch hier geht mitunter der Mischwald in eine Monokultur über.) und darüber hinaus, jenseits des einzelnen Satzes oder Bildes, also über der Grenze des Sag- und Zeigbaren – wie Wittgenstein es vielleicht formulieren würde.
Hofmeisters Bäume sind Huldigungen an die Bäume, die Sprache und das Bild. Die Bildhaftigkeit der Schrift und die Schriftlichkeit des Bildes, der Wechsel von Fläche und Raum, die Andeutung des je anderen: das sind die künstlerischen Grenzen des Waldgängers und Wanderers jenseits der Baumgrenzen, jene von Hofmeister.