Kunsthaus Kärnten:Mitte

Zum Kunsthaus von Werner Hofmeister
(Hubert Matt)

Das Poster hängt an der Tür meines Büros, auf der Innenseite: „This is the house of my best friend“. Es zeigt eine einfache Hundehütte und den genannten Satz und wurde 1994 von Hofmeister aufgelegt. Das Haus ist also beim Einbuchstabenschreiber kein überraschendes Thema. Diesmal ist es aber nicht eines für einen Hund, sondern für die Kunst. Oder ist es ein künstliches Haus, oder ein Haus als Kunstwerk? Jedenfalls ist es – trotz seiner Größe – klein und es ist zugig. Das Zeichenrepertoire des Künstlers schneidet die Wände und das Dach aus, durchlöchert sie. Wären die Zeichen noch mehr, würde das skelettierte Gebäude in sich zusammenbrechen.

Es ist die Fragilität zwischen Material und Zeichen, welche die Essenz des Objektes bestimmt. Die Zeichen sind die Leere, die Lücke. Die Nicht-Zeichen sind die statischen Verbindungen. Gerade noch. Die Größe erinnert an das Verhältnis von Kirche und Kapelle, aber was ist parallel zur Kapelle das Gegenstück eines kleinen Hauses? Eine Hütte? Die fragile Haut erinnert an gotische Kathedralen. Die Form ist simpel, von den Proportionen und dem Satteldach her ein gewöhnliches Haus, wie Kinder es zeichnen würden. Es geht hier nicht um den architektonischen Einfall. Es steht auf einer Betonplatte nahe dem Bach, welcher durch das Gelände sich windet und dem Tal seinen Namen gibt. Nahe den Bäumen, den Büschen, eigentlich am Rande steht es.

Das Gelände: jenes des Quellenkulturmuseums mit den Klein- und Großplastiken im Umfeld. Davor öffnet sich ein neuer Platz, einer für neue Skulpturen und Interventionen. Das Haus, das Häuschen, der Schrein, der Tabernakel wird im Jahresrhythmus wechselnd eine kleine Skulptur beherbergen und Ort von Performances sein. Es ist also, was es ist, also etwas Skulpturales, es dient aber auch, anderer Kunst etwa.

Was das Haus von der Skulptur unterscheidet, ist, dass es ein Innen gibt und ein Außen, dass es einen Raum öffnet und schließt. Das Material des Hauses, Stahl, von Zeichen durchlöchert, wird keinen Schutz bieten vor Kälte oder Regen, der Nebel wird daran gefrieren zu Eis aus dünnen Schichten. Die Haut des Künstlers ist dünn, porös, durchlässig, Angriffsfläche, verwundbar. Es sind die Zeichen, die er generiert, die ihm als zweite Haut einen gewissen Schutz, eine Behausung bieten, eine Heimat. Als wäre das Gewebe aus „Qult“-Zeichen zu einer Textur geworden, einer häuslichen Faltung. Als wäre hier ein Kokon gesponnen, als hätte eine Verpuppung stattgefunden. Die Zeichen mutieren in dieser Häufung zum Ornament, zu einem Gemurmel, das diejenigen, welche das Kunsthaus betreten, umgibt wie das Rauschen eines Baches.

In den Höhenzügen der Gegend finden sich die Wehrkirchen, Bunkern gleich kuscheln sich Kirche, Schule und Gasthaus zusammen, Fluchtorte, Fluchorte, Bittorte, Festorte, Dankesorte. Die Gegend ist geprägt davon. Unten im Tal steht das poröse Haus, der Wind weht durch, peitschender Regen dringt nach innen, die Aussicht ist versprachlicht, gezeichnet durch den Einbuchstabenmaler.

Schon etliche Künstler haben sich am Thema „Haus“ abgearbeitet, am symbolischen, immateriellen, natürlichen, artifiziellen, kleinen und großen. Das hilft nichts. Viele Architekten haben in den letzen Jahrzehnten ihre Monumente für die Kunst – die eigene – errichtet. Im Kunsthaus von Werner Hofmeister fallen Herberge und Beherbergtes zusammen. Wie eine Einsiedelei, wie ein „Walden“ im Görtschitztal. Kein Bett, kein Stuhl, kein Tisch. Eine Laterne von weitem in der Nacht.

Bilder verdichten sich, werden durchlöchert von Texten, diese durchlöchern neue Bilder, nachdem sie zu dicht geworden sind, zu dicht für den Blick auf die Welt. Das ist der dynamische Ansatz der Symbolsystemgeschichte von Vilém Flusser. Da ist auch kein Ende abzusehen, das wäre wirklich das Ende, der Zusammenfall des Symbolischen mit dem Realen. Ein Haus ist wie ein Relais, es verschließt, es öffnet aber auch.

Die Gebrüder Poschauko (zwei Grafiker) zeichnen ein gutes Modell kreativer Prozesse. Im offenen Feld verlieren sich die Ideen, erst im Geviert (wie Heidegger sagen würde) sammeln sie sich, dann lässt sich auch eine Tür öffnen, dann sammeln sich die Ideen auch draußen, im Verlorenen. Zieht man das Geviert zu eng, dann geschieht nichts. Es ist das Paradox, dass Freiheit und Notwendigkeit zusammen zu denken sind. Dass nur in der radikalen Hingabe an die Geworfenheit ein Entwurf, ein Wurf der Freiheit sich ereignen kann, als kleine Geste. Die Geste ist bei Flusser diese Umwandlung des Gegebenen in seine Freiheit. Welt dort sichtbar werden zu lassen, wo man sich gerade befindet, das ist die Aufforderung von Lyotard in seiner Ökonomie des Begehrens. Niemand hat das wohl mehr verstanden bzw. niemand gibt das mehr zu verstehen als Hofmeister. Nicht St. Paul, nicht St. Pauli, nicht Peter und Paul, nein, Klein St. Paul ist der Nabel der Welt, wie auch Schopernau, wie auch Kirchberg, wie auch Übelbach – und wie Paris oder London, wenn sie ihre Winzigkeit entdecken.

Das Kunsthaus ist ein Versuch eines heiligen Ortes – weil es der Versuch eines Ortes ist. Die Schienen „Kofler“ und „Mader“ (nach einem Schlosser und einem Statiker benannt) von Gottfried Bechtold loten die Grenze von Tragfähigkeit aus, sie tragen gerade noch sich selbst, sie sind in eine Krise gebracht, die Krise der reinen Selbstbezüglichkeit, der Tautologie. So erhalten sie als Material (Stahl) ihre Würde, ihre Freiheit, zerbrechlich. Auf der Zerbrechlichkeit und Hilflosigkeit des Menschen (als Kind) baut Judith Butler ihre (antiethische) Ethik auf.

Hofmeisters Löcher sind keine reinen Löcher, keine abstrakten Ausschnitte, es sind konkrete Zeichen aus der Vermählung seiner Q-Werte und historischer und alltäglicher Zeichenrepertoires. Das System der Sprache, die soziale Welt lässt uns die Krise aushalten. Die Konzeptkunst ist sozial geworden in Klein St. Paul, sie hat ihre tautologische Enge – ihre notwendige Einsiedelei -verlassen in dem Versuch der Narration eines Ortes, eines Subjektes, der Dinge um uns herum oder der sozialen Myzelien im Kontext technischer und naturwissenschaftlicher Netze bei Thomas Feuerstein, dann wären wir aber am Fuße des heiligen Berges oder in der Stadtsenke von Wien.

Mit dem Kunsthaus gelingt Hofmeister in der Verdünnung eine Verdichtung. Ferdinand Ruef – ein Künstler aus Bregenz und dem Bregenzerwald – hat all seine Arbeiten der letzten Jahre in einem Container versiegelt. Hofmeister lasert all seine Zeichen (seine Stimmen) in Stahl, bis dieser porös wird, und faltet ein Haus, ein Kunsthaus. Das sind keine Gegensätze, das sind – mit Slavoj Zizek gesprochen – Paralaxen. In einer frühen Arbeit hat Hofmeister seine Muttermale vermessen und auf Papierhaut übertragen. Das Kunsthaus ist das Gegenstück dazu. Es ist auch das Gegenstück zum Haus für den Hund. „Gegenstücke“, das wäre überhaupt ein besserer Begriff für „Kunst“. So wäre klar, dass nur im ständigen Widerspruch, der ständigen Widerholung (sic!) die Arbeit der Kunst bestehen kann, als Versuch, kritische Objekte zu generieren, Objekte, die eine Krise sind, die am Rande des Möglichen das Unmögliche versuchen, die die Auflösung so lange betreiben, bis sie Material annimmt, Körper wird, Haut, Haus, Behausung. Materialisierung und Dematerialisierung sind gegenläufige Handlungen. Wahrnehmbar ist nur, was unmöglich geworden ist, d.h. stofflich. Möglich ist nur, was unstofflich ist, insofern ist eigentlich nichts möglich. Kunst wäre also der Versuch, die Welt neu zu erfinden, das aber bedeutet, sie aus dem Nichts zu schaffen und in dieses Nichts eine Differenz einzuführen, um Materie zu ermöglichen. So in etwa erzählen den Anfang zur Zeit die Physik, der Buddhismus und andere in beinahe gleichen Satzgebilden.

Hofmeisters Arbeit kommt aus dem Warenkatalog (seiner Quelle), aus der Reproduktion – der Reproduktion. Er trickst, er nimmt buchstäblich. Das hat auch etwas von der Strategie von Witzen. „Meine Quelle“, ja, meine. Von seinem Musterbuch (dem Quellekatalog), seinem Mutterbuch, hat er sich längt wegmutiert, begleitet von einem Heer an Zeichen, einer Spur lebender Objekte. Seine Umformungen tendieren zur Massenproduktion – Stempel, Schablonen, Editionen, Drucke oder Ausschneidungen, vermehret euch! Das Unikat als Produkt ist sein Ding nicht. Die Wucherung schon eher. Es sind gleichsam Vorräte, Repertoires, Akkorde, Melodien, die er stets wieder zu Aufführungen bringt. Anhäufung und Reduktion sind gegenläufige Strategien, beide spielen mit Ordnung und Unordnung, Information und Redundanz. Als wollte der Künstler jeweils ein Zeichen, eine Form wieder durch Wiederholung tilgen. Wiederholung des Wortes, bis es seine Bedeutung verliert, seinen Sinn und nur noch als Spur das Universum markiert. Jetzt sind die Zeichen eingeschrieben und zu einem Haus gefaltet, zur Ruhe gekommen, die Häuser werden sich vermehren, auftauchen, verschwinden. Kunstwerke existieren nur in der Vergangenheitsform, ihr Status ist stets der der Fotografien in einem Album, sie erzählen bestenfalls von Ereignissen, die sie selber längst überholt haben. Das Original ist die Geste des Künstlers, sie muss unentwegt Angriffsflächen und Angriffsobjekte finden. Hofmeister – und erst recht sein Kunsthaus – fordern uns dazu auf, Widerholung und Wiederholung und erst recht Ornamentik neu zu denken. In der Überforderung des Sinns kommt dieser gleichsam ins Rauschen, er ist da und nicht da, kommt in die Schwebe. Es ist der Sinn des Dazwischen, hauchdünn nur getrennt vom cinematographischen Sinn der Filme und der Warenwelten. Die Wiederholung muss neu gedacht werden, die Bildnerei muss neu gedacht werden. Die Differenz zwischen Technik und Kunst muss neu gedacht werden – wenn es sie überhaupt gibt. Vielleicht ist das die Differenz: die Kunst verspricht nichts, sie verspricht sich nur unentwegt. Identität und Differenz durch Reproduktion, der Mensch im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Reproduktion als ontologische Strategie, Bücher, die zu schreiben wären. Vielleicht ist die Differenz diese minimale, aber folgenschwere Kippung im Wort „Versprechen“. In jeder anderen Sprache als der deutschen müsste die Differenz neu gedacht und formuliert werden, wie jedes Kunsthaus an jedem anderen Ort neu formuliert werden müsste, wie jedes Kunstwerk stets neu versprochen werden müsste, an jedem Fluss, der einem Tal einen Namen gibt.

Hubert Matt