Eine Steilvorlage von Werner Hofmeister zum Jubiläum des Museums für Quellenkultur
Hubert Matt 2023
Jedes Bild ist ein Bild über ein(em) Bild, aber dieses Bild, das Hofmeister verschickt hat ist ein mehrfacher Ausschnitt, eigentlich ein Passepartout. Der Begriff steht für einen Karton als erster Rahmen im zweiten Rahmen für ein Bild aber auch für einen Generalschlüssel, der sofort und überall in alle Schlösser passt. Der Grund der Bilder ist nicht leer. Das ist eine Illusion, wir beginnen nicht mit einem weißen Blatt, das Blatt ist voll mit anderen Bildern, wie das Jaques Derrida, wenn ich mich recht erinnere, schon beschrieben hat. Der Grund für die Bilder ist ein Abgrund und wohl oft ein Müllhaufen der Bilder.
Insofern ist die Vorlage von Hofmeister der Normalfall, nur, wir sehen es zumeist nicht. So handgreiflich ist es nur selten. Es ist etwas vorweggenommen, das noch nicht geklärt ist. Was macht er? Hofmeister schickt seinen befreundeten Künstler:innen eine Arbeit von sich in entsprechend hoher Auflage. Eine Metallplatte mit vier Ausschnitten. Die Löcher, die Ausschnitte sind dort, wo die Augen, die Nase und der Mund in einem Gesicht situiert sind. Als wären diese Sinne die Fenster zur Welt, als würde hier erste ein Bild, ein Sinneseindruck entstehen. Die Maske, das Gesicht ist also eine leere Form. Mach mit dieser Vorlage etwas! So die Aufforderung des Künstlerfreundes, dem die Gratulationen seiner Freunde mehr bedeuten als alle anderen Gaben zum Jubiläum.
Wie aber umgehen mit dieser Vorlage – wie nach diesem Zuspiel ein Tor schießen? Wir sind auf einem Spielfeld. Ich in doppelter Rolle, als einer der die Vorlage bekommen hat, als Künstler und als Theoretiker, der jetzt über dieses Spiel Sätze schreiben soll. Sätze über was? Das Verschicken einer Vorlage ist in der Arbeitsweise ihm nicht fremd, in den 80er-Jahren versendete er Frösche aus ungebranntem Ton an Kollegen und bat sie, diese zu küssen, sie kamen unterschiedlich verformt wieder zurück, sie waren also oft kaum wiederzuerkennen. Wird Hofmeister diesmal die Vorlage, seine Arbeit wiedererkennen, nachdem wir alle uns darüber gemacht haben? Nach einigen Überarbeitungen sah er sein Gesicht hinter den Masken, wie er es nannte, noch. Nach Vorlagen und Vorgaben zu arbeiten ist Hofmeister selbst nicht fremd. Die Aneignung des Gegebenen ist ein Kern in seinem künstlerischen Verfahren. Der Quellekatalog war ihm gegeben, als seine Quelle etwa. Gerade die Akzeptanz einer Vorlage ist eine Herausforderung, die anspornt.
Gibt es überhaupt eine Arbeit ohne Vorgabe? Wohl nicht. Der eine wählt einen Baum in seiner visuellen oder materiellen Präsenz, die andere einen Berg, jemand Personen, jemand das Meer oder eine Schale mit Obst und andere ihre Emotionen oder die Grundelemente des Bildes. Es gibt also letztlich keine abstrakte Kunst, sie ist immer auf Existierendes bezogen, immer in einem gewissen Sinn realistisch, ja naturalistisch. Nur, was das Reale ist, darin unterscheiden wir uns, was das Relevante ist usw. Uns ist aber nicht nur das Wirkliche gegeben – lassen wir diesen Begriff einfach einmal zu – uns ist auch das Symbolische gegeben. Jetzt wandeln wir auf den Spuren der zentralen Begriffe von Jaques Lacan, wollen es aber mit dieser Andeutung belassen. Es gäbe bei ihm noch den Begriff des Realen, dessen war unter allem liegt und nur selten zum Vorschein kommt und nicht wirklich fassbar ist, das uns letztlich in den Abgrund blicken lässt.
Wir haben also neben der Welt auch die Bilder der Welt als Vorgabe, als Vorlage – erst recht, wenn wir uns von diesen abgrenzen. Wir arbeiten über Vorgaben, die wiederum Vorgaben von Arbeiten sind und sein werden. Den Vorgaben ist nicht zu entkommen. Dem Geworfensein, dem Objektsein, wie das Judith Butler oder Marcus Steinweg wohl formulieren würden. Wer behauptet schon – ich weiche jetzt ab – dass dieses Rechteck mit vier Auslassungen ein Gesicht sei? Es ist keines, es spricht nicht, es sieht, schmeckt und riecht nichts. WIR sehen ein Gesicht, ein einfaches, einen Kopf, wenn wir die Ausschnitte als unser Sensoren interpretieren. Es könnte auch eine Maske für ein technisches Verfahren sein oder eine Abdecke für ein Gerät. Dieses Verhalten, eine Form oder gar ein Gesicht zu sehen, in Wolken oder anderen Gebilden, hat einen Fachausdruck, es nennt sich Pareidolie.
Wir kommen nicht umhin, bei der größten Abstraktion eine Referenz zur Welt zu suchen, zu uns. Und jetzt legt uns der Freund, der Künstler diese Maske auf den Arbeitstisch. Schau nicht nur hin, arbeite, sagt er uns. Mach dich ans Werk, nimm das als Grund(lage) deiner Arbeit, spricht über meinen Text, mein Bild darüber, überlagere es. Wenn wir diese Arbeit tatsächlich als Maske betrachten wollen, dann ist es die Umdrehung einer Maske, hier wird deutlich gezeigt, was eine Maske eigentlich verbergen will, die Augen, die Nase, den Mund, also alles andere als eine Anonymisierung ist der Fall. Würden wir diese Maske aufsetzen, dann wären die zentralen Elemente des Gesichtes in einer geometrischen Figur, einem Rechteck, gerahmt, zur Schau gestellt, Augen, Nase und Mund würden zum Bild werden. Zeig mir dein Gesicht! Zeig mir dein Gesicht, indem du über diese Maske arbeitest, sie als Vorlage nimmst, als den Grund eines Bildes, einer Arbeit von dir. Hofmeister lädt uns ein, unser Gesicht zu zeigen zum Jubiläum des Museums für Quellenkultur.
Wie können wir reagieren, agieren? Wir können die Vorlage ignorieren, wir tun einfach so, als wären die Aussparungen, die Löcher nicht da, als wäre der Bildgrund neutral. Wir könnten die Löcher zu stopfen, damit hätten wir unsere Unterlage geschaffen und könnten scheinbar tun, was wir wollen, als hätten wir nicht ständig Bilder schon als Projektionen auf den Gründen der Bilder. Wir können ablenken von den Löchern, wir können sie als Passepartout nutzen und etwas dahinter legen, etc. Wir können ein Spiel beginnen, du bist da, du bist weg, ich bin da, ich bin weg. Wir werden in der Ausstellung die verschiedenen Formen des Umgangs mit der Vorlage sehen. Damit verführt Hofmeister seine Freunde dazu ihr Gesicht zu zeigen. Über die Maske kommt der Freund zu sich und zu ihm und zu uns.
In Wikipedia lesen wir zu Person: „Das Lehnwort Person stammt vermutlich aus dem altgriechischen Wort für das „was man sehen kann“, also Gesicht, Antlitz oder sichtbare Gestalt des Menschen (altgriechisch πρόσωπον prosopon), wo die Einheit des Bewusstseins, des Denkens, Wollens und Handelns ihren Ausdruck findet. Auch die Herkunft aus dem etruskischen „phersu“, das als Beschriftung einer Darstellung eines Zuges Maskierter gefunden wurde, gilt als möglich.[3] Die Ableitung aus dem Etruskischen (mit der Bedeutung „Maske“, „maskierte Figur“ oder „Maskierter“) wurde unter anderem von der Duden-Redaktion übernommen.“ Also hat die Maske etwas mit den Personas der Freunde zu tun. Aber gerade das, was man sehen kann, die Gestalt, die Augen etc. sind bei Hofmeister einerseits auf ein Rechteck reduziert, andererseits eben ausgespart, gerahmt. Würden wir ein Selbstporträt, gleichsam als Glückwunschkarte auf die Grundlage malen, wir müssten die Augen, die Nase und den Mund aussparen, wir wären über dieses Bild nicht zu erkennen. Insofern sind wir gleichsam gezwungen über eine andere Geste erkennbar zu werden als Freunde, als Gratulanten. Die Person ist also unkenntlich, sie ist nur Maske, nur Form. Kenntlich wird sie nur über die anderen, über deren Intervention. Das Ich ist also nur über das Du, als Mit-Sein, was es ist, so hat es Martin Buber formuliert, so spricht auch Jean Luc Nancy: „Aber ‚Selbst‘ gibt es nur aufgrund eines ‚Mit‘, das es in Wahrheit strukturiert…“ (J. L. Nancy: singulär plural sein, Zürich, 2004, Seite 142). Und dieses Mit ist bei Nancy letztlich die Welt, alle Beziehung von Uns und anderen und zu Anderem, also zur Natur etc. Ständig ist das Gesicht in Gefahr aufgelöst zu werden, überlagert zu werden. Dabei ist es gerade diese Gefahr, die es zu dem macht, was es ist. Nur wo wir uns der Gefahr der Auflösung, der Auflösung der Ordnung aussetzen, entsteht, was wir Subjekt nennen könnten, Person vielleicht.
Hofmeister lädt uns zum 20. Geburtstag des Museums dazu ein, an der Geburtlichkeit des Gesichts, damit des Subjekts – letztlich immer als Künstler – teilzunehmen. Eine Maske, die zeigt, was sie verbergen möchte, wird überlagert und zeigt damit die Anderen, die jeweils Anderen, die das Eigene erst bilden können. Wir arbeiten ausgehend von Vorgaben, die wir selber auch sind, über Vorgaben, zu anderen Vorgaben und versuchen das Gegebene als das unsere zu behaupten, Strategien der Aneignung, der Abgrenzung etc. zu finden. Die Überarbeitung einer Vorlage, auch der eigenen, die Transformation macht bei Hofmeister beinahe unerschöpfliche Runden. Die Maske, das Gesicht oder der Kopf, wie er es auch nennt, vervielfältigt sich bei ihm oft, wird zum Muster damit, zu anderen Figuren, im Flachen, also zur Grafik, zur Stempelarbeit – wo sich das Bild (das Gesicht) wieder aufzulösen beginnt – oder im Volumen, also zur Plastik. Einige Köpfe werden zum Körper und dieser macht einen Kopfstand, als wären wir im Gesamten ein Ensemble solcher Masken. Diese Arbeiten sind zugleich mit den Überarbeitungen der Vorlage durch die Freunde im Museum zu sehen. Voraussetzungslosigkeit ist eine Illusion, mit Voraussetzungen Aneignungsversuche zu machen, ist eine Kunst, letztlich jene der Existenz. Das ist Kopfarbeit und Handarbeit zugleich. Wir sind in einem Dialog von Feldern, leeren und vollen, wir werden in der Ausstellung Hofmeister und seine Freunde sehen, wir sehen sie als seine Freunde, weil seine Vorgabe, als Gabe, immer präsent sein wird. Wer wird wen erkennen? Es wird ein Fest sein.